Ein Wort, das mich in den letzten Monaten sehr bewegt. Unser demokratischer Rechtsstaat ist eine große Errungenschaft nach Monarchie von Gottesgnaden und Diktatur sind wir endlich in einer Staatsform angekommen, die das Leben zwischen möglichst vielen Menschen fördert und nach den Idealen der französischen Revolution versucht lebenswert zu gestalten. Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit. Demokratie lebt davon, dass alle sich einbringen.
Aber wie geht Demokratie eigentlich? Für viele hat Demokratie was mit Abstimmung zu tun. Vorsicht. Wenn abgestimmt wird und nicht davor debattiert, also miteinander gesprochen und abgewogen wird, zugehört und jede Meinung empathisch aufgenommen wird, dann entsteht schnell, das, was ich die Diktatur der Mehrheit nenne. Vorsicht auch vor Machtsammlern, sie kaufen sich Stimmen durch Vergünstigungen und Vorteile, die sie verteilen. Um diese Schwächen der Demokratie auszugleichen braucht es Menschen, die überzeugt sind von ihren Stärken und sich dafür engagieren.
Demokratie bringt in erster Linie die verschiedenen Meinungen und Ansichten zum Vorschein, die in einer Gruppe bestehen. Das ist für mich der bezauberndste Teil jedes Meetings. Der gegenseitige Austausch fördert die Phantasie, öffnet neue Räume und erlaubt uns zu denken, was noch nie da war, was nicht möglich zu sein schien. Jedesmal bin ich von diesem Prozess überwältigt, der sich entwickelt je mehr wir uns erlauben in Fluss zu kommen und je weniger wir an unseren mitgebrachten Meinungen und Einstellungen festhalten.
Dass selbst in heiklen zwischenmenschlichen Situationen dieses Kunststück der Erneuerung und der Umgestaltung gelingen kann zeigen in der Praxis die Arbeiten von Marshall Rosenberg in verschiedenen Krisengebieten oder von Dominic Barter hier in Brasilien mit seinen Restorativen Kreisen.
http://www.restorativecircles.de/dominic-barter-team/
Davon wünsche ich mir viel viel mehr im ganz normalen Alltag, wenn wir mit Kolleginnen sprechen, mit MitarbeiterInnen oder Vorgesetzten, mit Familienmitgliedern oder in Liebesbeziehungen, bei alltäglichen gemeinsamen Projekten, im Beruf oder privat, wie Wohnung putzen oder einen Ausflug planen. Wir sprechen dann vielleicht miteinander, diskutieren, was gemacht wird, bis wir eine Lösung finden, doch es ist viel mehr, was da entstehen kann, wenn Menschen sich zusammen setzen und anfangen demokratisch miteinander umzugehen.
Demokratie in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, im Studium, im Berufsleben, im Tanzunterricht, in der Körperarbeit, im therapeutischen Setting, da fängt es eigentlich an, im Umgang mit uns selber, wie demokratisch gehen wir mit unserem Körper um? Wer sagt, was getan wird? Der Verstand oder die Gefühle? Welchen Bedürfnissen geben wir Raum? Welche ignorieren wir?
Wir sind müde und abgeschlagen. Der Körper spricht eine klare Sprache. Hinlegen und ausruhen. Was tun wir? Wir trinken eine Tasse Kaffee. Wir haben Kopfschmerzen. Hören wir hin und folgen unserem Bedürfnis nach Rückzug oder Entspannung? Nein, wir nehmen eine Tablette. Auf diese völlig undemokratischen Verhältnisse möchte ich als Körpertherapeutin aufmerksam machen, denn hier beginnt das mit der Gleichheit, und der Freiheit und der Geschwisterlichkeit, im Umgang mit uns selber, unserem Denken und Fühlen, unserem Körpersein.
Ein anderes Beispiel aus meinen Erfahrungen mit Körperarbeit und Tanz. In einer Gruppe wird angeleitet einen bestimmten Rhythmus zu klatschen und sich dabei durch den Raum zu bewegen. Ich mache das, wie alle anderen, wir sind vielleicht 40 Personen im Raum. Ich falle aus dem Rhythmus, ich strenge mich an, wieder rein zu kommen, ich verwechsle die Bewegungen, ich remple mit jemand an … bis ich mich auf einen Stuhl am Rand setze und da spüre, da ist mein Platz in der Gruppe. Ich kann so den Rhythmus besser aufnehmen, der von der Gruppe kommt, spüre ihn in jeder Zelle, alles andere ist noch viel zu viel für mich. Ich erfahre Unverständnis von Seiten der Leitung. Was tun? Aufstehen und weiter machender meinem Impuls folgen und sitzen bleiben?
Sehr oft erlebe ich diese Diktatur der Gruppe, dieses Diktat mitmachen zu müssen, um nicht schief angesehen zu werden. Oft tun wir etwas um nicht aufzufallen. Demokratie erfordert Zivilcourage, aufzustehen und Nein zu sagen, wenn etwas nicht stimmig ist, auch, wenn es unbequem ist. Es gab Zeiten in unserer Vergangenheit, da war es nicht nur unbequem sondern lebensgefährlich sich zu äußern und eine andere Meinung zu vertreten. Das können wir heute, tun wir es? Geben wir der Debatte in uns Raum, wenn wir merken, es tut uns nicht gut, wenn wir so weiter machen, wie bisher? Wer sagt uns, was wir tun und lassen?
Im therapeutischen Setting mit den HKIT habe ich immer wieder erfahren können, was das Überich macht, also die Musst und Sollst aus der Kindheit bewirken, wie wir sie auf andere Menschen übertragen und welche Freiheit darin liegt für uns selbst verantwortlich zu zeichnen, was Gleichheit für einen Segen in sich trägt, wenn wir verstehen, sie herzustellen und welche Entspannung ein geschwisterlicher Umgang mit unseren verschiedenen Anteilen mit sich bringt.
Große Verführungen lauern dort, wo wir diese Räume nicht ausfüllen sondern anderen und anderem folgen, Rezepte, Tipps und Ratschläge vorschnell annehmen und nachher verärgert sind über die Gurus, die Menschen, die wir auf einen Sockel gestellt haben. Wie geht das nur? Müssen wir das Ei des Kolumbus selbst erfinden? Wo folgen und wo kritisch hinterfragen? Welche Wertmaßstäbe legen wir an bei Körperarbeit und Tanz? Bei Workshops und in therapeutischen Settings? Was annehmen und was verwerfen?
Da bietet mir das Wort Demokratie immer wieder den passenden Rahmen an. Geht es demokratisch zu unter den Teinehmern oder bestimmt einer und die anderen folgen? Wieviel Raum bleibt mir für meine Freiheit, für meine Gleihheit und für mein Geschwistersein? Wie fühlt sich das an? Das Wort Demokratie ist zu einem Navi für mich geworden in unübersichtlichem Gelände und ich spüre, da gibt es noch viel zu lernen im Umgang mit einander und ich freue mich, wenn ich andere Demokratinnen treffe und Demokraten.
Ich merke, wenn ich das Geschriebene nochmal lese, dass das erst ein Anfang ist, darüber nachzudenken, was Demokratie sein kann und ich freue mich, auf euere Gedanken dazu, die müssen genau so wenig wie meine schon ausgegoren sein und druckreif, viel spannender finde ich den Entstehungsprozess, den Umgang miteinander, das Beitragen … was für tolle Bewegungswörter uns doch zur Verfügung stehen … .
Herzliche Grüße aus Brasilien, das nicht von ungefähr zu meinen Demokratieüberlegungen beiträgt, die nicht zu letzt ein wichtiger Teil unserer gemeinsamen HKIT Arbeit darstellt.