Auf dem Körperpychotherapiekongress in Lissabon im Herbst 2014 stieß ich bei vielen Beiträgen auch immer wieder auf die Frage, ob da die vorgestellte Methode oder die Person des Therapeuten ausschlaggebend war für den Therapieerfolg? Welche Bedeutung hat der Therapeut, die Therapeutin im therapeutischen Setting? Im Heilungsprozess?
Ich meine auch solche Gedanken bei Michael Heller auf dem Podium gehört zu haben, der über die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung für die Körperpsychotherapie sprach. Ich kenne keine Forschungen zu dem Thema Therapeutische Persönlichkeit, gehe aber davon aus, dass es ist wie beim schulischen Erfolg, die Beziehung zum Lehrer, der Lehrerin ist, die den Ausschlag gibt:
Da bestehen signifikante Zusammenhänge von Interesse an einem Unterrichtsfach, guten Noten in einem Schulfach und Sympathie zum LehrerIn. Frage ich Erwachsene und auch SchülerInnen nach, so bekomme ich zu 99 Prozent Bestätigung für meine These. Je sympathischer der LehrerIn für die SchülerIn um so besser die Noten und um so angenehmer wird oder wurde die Schulzeit erlebt und erinnert, was ja bedeutend ist, beziehen wir die Ergebnisse der Stressforschung zum Lernen mit ein.
In der Therapie können wir uns hoffentlich den TherapeutenIn, selber wählen und auch die Therapierichtung. Ist das nicht gegeben sondern quasi per Krankenkasse verordnet, Daumen runter für den Therapieerfolg. Freiwilligkeit ist Voraussetzung sowohl in der Humanistischen Psychologie als auch im Reformpädagogischen Lernen für den therapeutischen Erfolg.
Wann ist uns nun ein Therapeut, eine Therapeutin so sympathisch, dass wir bereit sind, wie ein Pferd beim Pferdeflüsterer, freiwillig mitzugehen. Entschuldigung der Vergleich, das Pferd steht tiefenpsychologisch für Lebensenergie und die Verbindung von TherapeutIn und Klientel hat damit zu tun, mit der Lebensenergie und mit ihrem Ordnen und Ausrichten.
Dass dies alles freiwillig geschehen muss habe ich bereits im Artikel über die reformpädadogischen Ansätze in den HKIT dargelegt und vor allem im Einklang mit den Selbstheilungskräften. KeinE TherapeutIn kann für uns diese Ordnungsarbeit übernehmen, letztendlich müssen wir sie eigenverantwortlich übernehmen, soll die Therapie nachhaltig sein.
Es gibt noch eine häufig vernachlässigte Komponente. Das Lernen in der Therapie und besonders altmodisch, das Vorbildlernen. 80 Prozent unseres Könnens lernen wir durch Nachahmung. Wen oder was bitte ahmen wir nach? Vorbilder. Idole. Menschen, die wir uns zum Vorbild nehmen. Die Mutter den Vater, später die LehrerIn, den Filmstar, die SängerIn …
Menschen eben, die uns sympatisch sind oder von deren Verhalten wir uns Vorteile erhoffen, wenn wir es nachahmen. Dadurch können auch äußerst unsympatische Erscheinungen im Lernfeld Erfolge haben und reproduziert sich grenzüberschreitendes, gewalttätiges Verhalten bei Kindern und Jugendlichen.
Der gewalttätige Vater hat mehr Einfluss auf ein Kind als ein Video oder das TV mit Gewaltdarstellung. Diese Vorbildfunktion trifft auch die therapeutische Beziehung. Wie wir als TherapeutInnen mit uns selber und mit unserem Klientel umgehen bestimmt den geheimen Lehrplan der Therapie. Da sind wir gefordert als TherapeutInnen, ganzkörperlich. Dies wird für mich viel zu wenig gesehen wenn wir körper-und psychotherapeutisch arbeiten, wie eben auch auf dem Kongress in Lisabon.
Zur Freiwilligkeit hinzu kommt die Eigenverantwortlichkeit, die Selbstkompetenz, soll Therapie nachhaltig erfolgreich sein, also auch immer eine Unabhängigkeit vom Therapeuten, der Therapeutin, also auch eine Befreiung vom Vorbild, vom Idol. Die therapeutische Beziehung ist somit geprägt von Sympathie mit allen ihren Steigerungsstufen, von Übertragungen und Gegenübertragung und in diesem Rahmen auch von Abwertung, von Symbiose, der Abhängigkeit vom Idol bis zur Unabhängigkeit und Selbstständigkeit beim Aufbau der Selbstheilungskräfte des Klientels.
Aus diesen Überlegungen heraus entsteht die Ausrichtung der Tanztherpaie HKIT auf den Dialog zwischen KlientIn und TherapeutIn. Wie kommuniziert sich dieser Dialog? Wir gehen in den HKIT davon aus, dass sich zwei gleichwertige PartnerInnen in TherapeutIn und KlienIin gegenüber treten in einem tänzerischen Dialog.
Anders als in der Psychoanalyse in der sich der Analytiker hinter dem Kopfende der Couch verbirgt werden wir als Tanztherapeutin gesehen auf dem Tanzparkett und bewegen uns zusammen mit unserem Klientel. Wir werden sehr genau beobachtet und bewertet, vom Scheitel bis zur Sohle gesehen. Andererseits sehen wir unser Klientel in voller Präsenz und Bewegung im Lebenstanz und nicht nur auf der Coach liegend und assoziierend. Diese Gegebenheit stellt völlig andere Anforderungen an eine Körper- und Psychotherapeutin.
Das Gegenüber
Hier beginnt der Tanz, wenn wir ihn als Kommunikation begreifen, im Dialog mit uns selbst und dem Gegenüber und bei dem, was wir sehen und unser Klientel sieht und wahrnimmt. Wir beginnen also mit Wahrnehmungsübungen, mit dem, was wir so allgemein als Sehen und auch Spüren bezeichnen, was ja aber viel weiter geht über die verschiedenen Formen der Wahrnehmung hinaus bis zum Hellsehen, Hellhören, Hellfühlen … nur um ein Beispiel zu geben um diese Dimensionen deutlich zu machen.
Wie gehen wir damit um, was wir beobachten bei uns selber und bei den anderen? Wertend oder gewährend? Gewaltfrei oder friedvoll? Egalitär oder dominant? Qualitäten die eng miteinander gekoppelt erscheinen und eins zu eins weitergegeben werden zwischen KlientIn und TherapeutIn.
Es ist angemessen sich in der Tanztherapie ein gemeinsames Bewegungs- und Beobachtungsrepertoir zu kreieren. Hier wieder der Zusammenhang der Tanztherapie mit der Kunst. Es geht um Kreativität, wollen wir unserem Gegenüber angemessen begegnen und zwar auf beiden Seiten.
Nehmen wir uns die Zeit einem Meister des Sehens bis in die Steinzeit zu folgen und begegnen wir seinem Gegenüber in der Kunst:
Vielleicht ist es an der Zeit, ganz unbefangen zu fragen, was denn all der Malerei von der frühesten Steinzeit bis in unser Jahrhundert gemeinsam ist. Jedes gemalte Bild verkündet: Ich habe dies gesehen oder, falls die Entstehung des Bildes Teil eines Stammesrituals war, wir haben dies gesehen. Jenes dies bezieht sich auf den dargestellten Blick. Nicht-gegenständliche Malerei bildet dabei keine Ausnahme. Ein spätes Gemälde von Rothko zeigt ein Leuchten oder ein farbiges Glühen, das aus der Erfahrung des Malers mit dem Sichtbaren herrührt. Wenn er arbeitete, bewertete er die Leinwand im Hinblick auf etwas anderes, das er gesehen hatte.
Ein Gemälde ist zunächst eine Affirmation des Sichtbaren, das uns umgibt, uns ständig erscheint und wieder aus dem Blick gerät. Ohne dieses Verschwinden gäbe es vielleicht gar keinen Impuls zu malen, denn dann würde das Sichtbare selbst die Gewissheit (und die Dauer) besitzen, die das Gemälde sich zu finden bemüht. Unmittelbarer als jedes andere Kunstwerk ist ein Gemälde eine Affirmation des Existierenden, der physischen Welt in die die Menschheit geworfen ist.
Die ersten Sujets der Malerei waren Tiere. Und gleich von Anfang an – und später genauso bei den Sumerern, Assyrern, Ägyptern und der frühen griechischen Kunst – war die Darstellung dieser Tiere außergewöhnlich genau. Es mussten Jahrtausende verstreichen, bis man den Körper des Menschen ebenso lebensecht darstellen konnte. Am Anfang war das Existierende das, was dem Menschen gegenübertrat. …
Berger, In gegen die Abwertung der Welt S 15, Hanser 2003
Seismografisch verfolgt Berger den Blick und lenkt unseren Blick auf das Existierende, das uns im Klientel gegenüber tritt. Rosenberg tut das selbe in der Gewaltfreien Kommunikation, die ich als Beispiel der Humanistischen Psychologie heranziehen möchte. In seinem ersten Schritt zur GFK spricht er von der Bedeutung der Beobachtung. Vom Beobachten ohne das Beobachtete zu interpretieren, zu bewerten zu … . Da treffen sich die Ansätze des Kunstkritiers Berger und des Psychiaters Rosenberg. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann.
Als Tanztherapeutin schaue ich erst mal, wer mir da gegenüber sitzt, steht oder liegt. Was zeigt mir dieser Mensch von sich und was kann ich davon sehen. Wie Berger bei den Tieren betont sehen wir das Gegenüber weitaus besser als uns selbst und konnten deshalb die Menschen Tiere weitaus früher lebensecht darstellen als den menschlichen Körper.
Im Tanz folgen wir diesen Gegebenheiten und kommen zum Tiertanz, einer frühen Tanzform, ob allerdings die Menschen sich nicht gegenseitig im Tanz dargestellt haben und lustig über einander gemacht haben, wie z.B. Mr. Bean das mit seinen Mitmenschen tut, das können wir nicht wissen. Jedenfalls haben wir in Chochitipueblo, N.M. überaus witzige Darstellungen von Jägern bei Tiertänzen angetroffen, zur Belustigung aller beteiligten und die Puebloindianer tragen entwicklungsgeschichtlich sehr alte Traditionen weiter.
Tanztherapie HKIT
Zitat
„Es geht nicht darum, den Anderen zu verstehen, sondern – innerhalb der Begegnung mit dem Anderen – sich selbst zu verstehen und sich für alles Unerwartete offen zu halten, was dabei auftaucht und einem dabei widerfährt.“ Klaus Dörner, Freispruch der Familie, 2001
Jeder Mensch hat das Recht von uns in der Therapie neu gesehen zu werden, die Voraussetzungen hierfür formuliert Dörner in dem oberen Zitat. Das ist wichtig für den therapeutischen Erfolg. Deshalb folgen wir in den HKIT den Bewegungen unseres Klientels, wie Berger denen der Rentiere die auf die Höhlenwände gemalt sind:
Was der Fels ihm erzählte (dem Zeichner) war, dass die Tiere – wie alles, das Existierte – im Inneren des Felsens lebten und dass er sie mit der roten Farbe auf seinem Finger dazu überreden konnte, an die Oberfläche zu treten, ganz dicht an die äußere Membran, sich an ihr zu reiben und ihren Geruch dort zu hinterlassen. … Während ich zeichne, frage ich mich, ob meine Hand, indem sie dem Rhythmus des Rentiertanzes gehorcht, nicht auch mit der Hand tanzt, die ihn als erste gezeichnet hat.
aus Hier, wo wir uns begegnen, Hanser 2006, S 129 und 132
Wir haben aber in den HKIT nicht nur eine Zeichnung, der wir folgen können, sondern einen Menschen. Ich spüre als Tanztherapeutin die Bewegungen meines Atems in meinem Körper und folge gleichzeitig den Bewegungen des Atems meines Gegenübers. Wie wir aus der Flirtforschung wissen, nehmen wir, wenn uns unser Gegenüber sympatisch ist die gleiche Körperhaltung ein, ahmen unbewusst die Bewegungen des Gegenübers nach, die Mimik und da wären wir wieder beim Pferdeflüsterer. Es geht um Zusammenarbeit.
Rosenberg nennt es das im Menschen angelegte Bedürfnis zur Gemeinschaft beizutragen. Wir signalisieren darüber Zugehörigkeit, die Lebensnotwendig ist, nicht nur bei Pferden und Hunden sondern auch beim Menschen. Robinson Crusoe ist ein eine schöne Fantasie wenn es uns in den sozialen Bezügen zu eng wird, aber keine Realität.
Unser Überleben als Menschen ist nur gesichert in Gemeinschaft. Deshalb besteht die größte Strafe darin, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Der sichere Tod für Menschen, die in und mit der Natur lebtens und vielleicht auch für die heutigen Städter? Wir verkennen das heute oft und unterschätzen den Wert der sich an diesen Gegebenheiten entwickelnden Sekundärpersönlichkeit, der durchaus gegeben ist.
Dazu ein Link in die FAZ, hier erklärt die Biologin Carola Kleinschmidt die Angst sozial ausgegrenzt zu werden und ihre Folgen am Arbeitsplatz in einem Artikel über Stressforschung:
Wir unterschätzen im Berufsalltag die Angst, sozial ausgestoßen zu werden. Die Sorge, durch schlechte Leistung aus der Gruppe ausgegrenzt zu werden, erzeugt heftigeren Stress als Zeitdruck und zu enge Abgabetermine. C.K.
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/stress-am-arbeitsplatz-13346814.html
Die Therapeutin
Nun sitzen oder stehen wir dem Gegenüber immer noch gegenüber. In der Zwischenzeit mit einem ganzen Berg voll Wissen. Wissen ist wichtig, damit wir einschätzen können, was sich da abspielt und gleichzeitig muss ich das ganze Wissen als Tanztherapeutin wegschieben, sonst lande ich nicht auf der Bewußtseinsebene, von der Betty Edwards spricht, die zum Navigieren notwendig ist, also auf der Seite der Intuition, des Spürens, der Körperlichkeit. Deshalb zurück zum Atem und dem Körper in seinen Bewegungen und Beweglichkeiten gefolgt, wie ein Südseeinsulaner der Küste entlang navigiert im Abschätzen von Nähe und Distanz. Betty Edwards, Garantiert Zeichnen lernen, Rororo.
Mein Körper als TherapeutIn, mit seinem professionellen Körperwissen, reagiert unmittelbar auf das Gesehene. Antwortet mit Haut, Muskeln, Knochen, Sehnen den Bewegungen meines Gegenübers. Der Atem stellt sich aufeinander ein. Das wissen wir heute und ist alles wissenschaftlich belegt aus der Sportforschung. So trainieren Spitzensportler.
Komm und tanz‘ mit mir, sagt Trudi Schoop, eine Pionierin der Tanztherapie und sie zeigt in ihrem gleichnamigen Buch, welche Erfolge sie damit hatte, die Psychiatriepatienten mit denen sie arbeitete zu sehen, wobei in der Tanztherapie sehen auch heißt, mit dem Klientel die Gänge auf und ab zu gehen, bis sich die Menschen gesehen fühlten und sie neue Schritte zusammen mit der Tanztherapeutin wagen können.
Das Gesehen werden ist von äußerster therapeutischer Bedeutung und tritt mir in Formulierungen im therapeutischen Feld gegenüber wie: Ich brauche es, von Dir gesehen zu werden. Es ist wichtig für mich, dass Du mich siehst. Bitte sage mir, dass ich o.k. bin. Bitte sage mir immer wenn ich zu dir hin tanze, dass ich es gut mache. Ich wurde von meiner Mutter, meinem Vater nie gesehen. Mein Mann sieht mich nicht. Aber auch in Negativformulierungen wie: Du siehst mich nicht. Du kannst das nicht sehen. Du hast zuviel Zeit mit den anderen verbracht. Ich konnte Deine Aufmerksamkeit nicht spüren. …
Das Thema SEHEN umfasst in den HKIT einen großen Wirkungsbereich: Wie zeige ich mich? Wie will ich gesehen werden? Was macht es mit mir gesehen zu werden? Wie sehen wir? Was sehen wir? Was brauchen wir, wenn wir gesehen werden? Wie geht es uns damit, gesehen zu werden? Wann ist der Mensch wirklich? Was machen wir um gesehen zu werden? Sehen ist eine Aufforderung zum Dialog.
Das Bedürfnis gesehen zu werden
John Berger spricht vom Begehren des Existierenden gesehen zu werden und gibt einige Beispiele aus der bildenden Kunst in Gegen die Abwertung der Welt, Schritte zu einer kleinen Theorie der Sichtbarkeit, S 21ff
Morandi malte 1949 einen Strauß Rosen, auf dem die Blumen wie Katzen lauern, in sein Blickfeld zu gelangen. (Das ist sehr selten, denn die meisten Blumenstillleben bleiben reine Schaustücke). Und da ist das Bildnis eines Mannes, vor zweitausend Jahren auf Holz gemalt, dessen Mitwirkung wir noch heute spüren. Es gibt von Velàzquez gemalte Zwerge, Hunde von Tizian, Häuser von Vermeer, in denen wir die Energie, den Willen, betrachtet zu werden, spüren. …
Immer wieder malte Rubens seine Geliebte Hélène Fournet. Manchmal arbeitete sie mit, manchmal nicht. Wenn sie es nicht tat, blieb sie ein gemaltes Ideal; aber wenn sie mitarbeitete, dann warten auch wir auf sie.
Hat man das Prinzip dieser Zusammenarbeit einmal verstanden, wird es zum Prüfstein, um Werke, ganz abgesehen von ihrem Stil und der Freiheit ihrer Farbgebung, zu beurteilen. Oder eher(denn Urteilen hat wenig mit Kunst zu tun): wir finden hier einen Hinweis, um besser zu verstehen, warum uns Gemälde so sehr bewegen.
Vielleicht auch ein Hinweis um zu verstehen, was uns im Gegenüber, im Dialog, im tänzerischen Dialog mit einem Menschen so sehr bewegen kann, was eine Tanzperformance zu einem unvergesslichen Erlebnis macht und ein Hinweis auf eine therapeutische Ressource.
Ressource Gesehen werden
Ich möchte es einmal das Entgegenkommen nennen, das, was ein Mensch mir gerne zeigen will oder auch indem er oder sie es versucht zu verbergen trotzdem zeigen will, denn auch im Verbergen liegt ja der Wunsch gesehen zu werden, oft noch viel deutlicher und stärker als im offenen Sich zeigen. Ich erinnere an die sieben Schleier der Ischtar, an Schleiertänze, an Kleidung überhaupt, die eine Aufmerksamkeit hervorruft die Nacktheit nicht hervorzurufen vermag.
„Nur das Verhüllte bewahrt seine Kraft.“ sagte ein bildender Künstler zu mir, es war nicht Christo und Jeanne-Claude, obwohl diese beiden sich als Verhüllungskünstler mit dem spektakulär verhüllten Reichstag und anderen Kunstwerken zu diesem Thema einen Namen machten. Folgen wir dem Klientel auf den Spuren Bergers, der sagt: Versucht man heute das Existierende zu Malen, dann ist das ein Akt des Widerstands, der Hoffnung entfacht.
Einsamkeit als Folge der Abwertung der Welt
Er spricht vom Widerstand gegen die Abwertung der Welt und diese Abwertung erfahren nicht nur Dinge sondern auch Menschen. Abwertung macht krank. Es ist interessant, Therapie, Tanztherapie HKIT als Akt des Widerstands gegen die Abwertung der Welt zu sehen. Zitat Berger:
„Die Marquise von Sorcy de Thélusson,1790 von David gemalt, schaut mich an. Wer hätte zu ihrer Zeit die Einsamkeit ahnen können, in der die Menschen heute leben? Die Einsamkeit, die täglich von einem Netzwerk aus körperlosen und falschen Bildern verstärkt wird. Doch deren Falsch-sein ist kein Irrtum. Wenn man in der Jagd nach Profit das einzige Mittel zur Rettung der Menschheit sieht, wird Umsatz um jeden Preis zum obersten Gesetz, und konsequenterweise muss man sich über das Existierende hinwegsetzen, es nicht beachten, es unterdrücken. Versucht man heute das Existierende zu Malen, dann ist das ein Akt des Widerstands, der Hoffnung entfacht.“ Berger, Gegen die Abwertung der Welt, S 23 ff
Berger spricht hier ein wichtiges therapeutische Thema in soziologischem Kontext an: Einsamkeit. Einsamkeit und ihre Folgen, als Säugling, als Kind, als Erwachsene. Einsamkeit die uns auffordert hinzuschauen und im Gesehen werden heilen kann. Die Aufforderung an andere „Sehe mich“ beherbergt die Aufforderung in sich, selber zu sehen, in diesen intensiven Kontakt mit sich selbst zu kommen, weckt die Selbstheilungskräfte in uns, weil wir uns wahr nehmen, für wahr nehmen. Berger spricht von Existenz.
Oft läuft es ja so, dass wir dadurch, dass uns andere wahrnehmen, am Anfang des Lebens die Mutter, der Vater oder sonst eine Bezugsperson, wir dadurch lernen, wie wir uns selbst sehen, für wahr nehmen, unsere Existenz begreifen. Findet dieses Begehren gesehen zu werden, was viel früher vorhanden ist als der erste magische Blickkontakt mit der Mutter, keine Resonanz, so sind wir verloren, fallen in Einsamkeit und Erstarrung oder beginnen eine lebenslange Suche nach diesem Gesehen werden.
Das Begehren gesehen zu werden beginnt früh, bei der Aufmerksamkeit die das Kind während der Schwangerschaft bekommt, bei dem Wunsch ein Kind zu bekommen oder der Ablehnung der Schwangerschaft, bei der Eizelle die noch gar nicht befruchtet ist und doch gesehen werden wollte.
Das Klientel weiß genau, wo das anfing, das Nicht-Gesehen-Werden. Als Erwachsene können wir uns nachnähren im Gesehenwerden in der Therapie. Wir können aber, wie das Will Davis formuliert, auch immer weiter unsere Energie in die Welt senden, als outstroke, ohne jemals ein Gegenüber zu finden und ohne jemals das Gefühl von Resonanz, von einer Antwort zu bekommen, instroke.
Wir sind angewiesen in unserer gesamten Entwicklung auf das Gegenüber und seine Antworten. Resonanz, Korrespondenz, Dialog, Kommuniktion. Ich erinnere Forschungen zur Gefühlsentwicklung und ihrer Abhängigkeit durch die Spiegelung der Gefühle durch die Bezugsperson im Rahmen der Spiegelneueronen Forschung.
In der Tanztherapie bin ich als Therapeutin ein Gegenüber, das anfassbar ist, das sichtbar ist, das berührt sein darf und das sich bewegt und auf vielen Ebenen antwortet. Ich darf dabei unvollkommen sein, weil an meiner Unvollkommenheit mein Klientel wachsen kann, wenn gelernt wurde, dass nein gesagt werden und hinterfragt werden darf ist das ein äußerst fruchtbarer Boden für Kommunikation. Wie das eine Klientin einmal formulierte: Als ich gesehen habe, dass Du etwas nicht wusstest und Du das zugeben konntest war für mir klar, dass es für mich gut ist, mit Dir zu arbeiten.
Dancing Dialogue Tanztherapie fordert von uns als Therapeutin Ehrlichkeit und ständige Arbeit an uns selber, wozu uns alle Berufe in denen wir mit Menschen arbeiten dazu herausfordern. Der Dialog mit unserer eigenen Landschaft, wie das Dörner formuliert, zu der das Klientel gehört, aber doch nur einen Bruchteil ausmacht. Dieser Dialog fordert uns heraus uns zu entwickeln. Unsere Grenzen zu erkennen und unser Möglichkeiten, Ressourcen zu sehen und zu wachsen, genau so, wie wir das von unserem Gegenüber erwarten.
Rosenberg beschreibt in seinem Buch Den Frieden sprechen, Junferman, eine lehrtherapeutische Szene in der er an psychiatrischen Patienten seine Methode demonstrieren sollte und am Ende stellte sich heraus, dass die Patienten auf dem Podium mehr verstanden hatten von GFK als die Therapeuten im Publikum und die Patienten den Therapeuten erklären konnten worum es geht bei den GFK. Die Rollen sind austauschbar und das, wenn wir damit gelernt haben umgehen zu können, entlastet uns als Tanztherapeutinnen ungemein.
Ich hatte einmal eine Lehrerin, den Namen schreibe ich jetzt nicht, in der Berufsfachschule, die zu mir sagte, ich kann Dir keine Eins geben, weil wenn ich Dir eine Eins gebe, dann müsstest Du so gut sein wie ich. Was für ein pädagogisches Missverständnis. Es geht nicht darum, die anderen an uns zu messen. Es geht darum, jeden Menschen in seinem Vermögen zu sehen und seine Gaben zu fördern. Das ist Aufgabe für jedeN genug für ein ganzes Leben und sowohl therapeutischer als auch pädagogischer Auftrag.
Zusammenfassung Tanzen wir also im Dialog mit unserem Klientel gegen die Abwertung der Welt, schwimmen wir gegen den Strom oder tanzen aus der Reihe indem wir dem Existierenden Raum geben und es wahr nehmen. In uns als Atem, als Körperraum, als Organe, Membrane, Knochen, Muskeln, Fascie, Haut, auch in unserer TanzpartnerIn, in den Tanzplätzen und Bewegungen eines Tanzes entwickeln wir unsere therapeutische Persönlichkeit weiter im Kontakt mit dem Existierenden, dem Gegenüber das sich uns zeigt mit dem Begehren, gesehen zu werden. Meine Aufzählung lässt sich beliebig in Familie und Beruf hinein erweitern.
Das kann auch die Frühstücksszene sein auf der Frühstücksterrasse in Salvador, die ich im letzten Artikel geschrieben habe, die Nachbarterrasse (siehe Fotos) oder die schnell dahinfließende Ardeché: Berger S 124 … Der Fluss, weniger als zwanzig Meter breit, ist voller Strudel und fließt schnell, im Sonnenlicht wirkt er metallisch. Wie ein Hund zerrt er an deiner Imagination und will, dass du ihn mit auf einen Spaziergang nimmst. … Anne ist die Mutter meines Freundes Simon und stirbt gerade in Cambridbe in einem Haus mit Garten. Wenn ich könnte, würde ich ihr den Klang der Ardéche schicken, ihr beharrliches, aber ungenaues Versprechen.
Mit diesen Betrachtungen zur therapeutschen Persönlichkeit als Gegenüber möchte ich schließen, so unvollkommen dieses Thema damit behandelt ist, soll es doch nur meine Gedanken widerspiegeln beim internationalen Körper- und Psychotherapiekongress in Lissabon 2014 und dass mir dieser Aspekt der Körperpsychotherapie völlig gefehlt hat bei dem Treffen. Dadurch konnte ich mir Gedanken machen. Zeigen diese Gedanken doch auch wieder die Vernetzung, die ich in anderen Artikeln ansprach von Therapie zur Pädagogik, zur Soziologie oder zu anderen Wirklichkeiten.
Denn das ist es, was uns im Gegenüber begegnet, eine andere Wahrnehmung der Wirklichkeit basierend auf einer persönlichen Geschichte, Geschichtetheit und das ist es, was uns antreibt anderen zu begegnen, die Herausforderung zur Zusammenarbeit und diese, gemeinsam zu definieren: Was ist Frau sein, was Weiblichkeit, was Menschsein? Wir kommen aus einer Vergangenheit in der das Verhältnis zwischen Menschen geprägt war vom hierarchischen Denken.
Wir haben dazu gelernt und die Menschenrechte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entdeckt und wir sind immer noch damit beschäftigt sie zu verwirklichen. Das Gegenüber frei, gleich und geschwisterlich zu sehen bleibt Aufgabe und bedarf differenzierter Beobachtung, der erste Schritt wäre gemacht. Weitere werden folgen. G.F.
Meine Erfahrung mit dem Blog lehrt mich, diesen Text jetzt erst mal reinzustellen. Es folgt noch ein Fallbeispiel und es folgen noch Fotos zum Bedüfnis gesehen zu werden aus meiner Salvadorzeit über Weihnachten und Neujahr 2014/15.